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Ostsee-Zeitung vom 23.06.2014
Ina Löschke gibt Gas. Das Tacho in Peter Wolters silbernem Skoda zeigt 120 Stundenkilometer an. Sie lacht und sagt fröhlich: „Wir spielen hier schließlich nicht im Sand.“
Ein Zuschauer würde nicht vermuten, dass die Frau hinter dem Steuer seit ihrer Geburt fast blind ist. Ihre Sehkraft liegt bei fünf Prozent.
Fahrlehrer Peter Wolter bleibt gelassen. Er ist es gewohnt, mit blinden Menschen Auto zu fahren. „Bremsen“, rät er. „Schubsen sie nicht Herrn Ehmke von der Straße.“ Emil Ehmke und Peter Wolter sind nur zwei von insgesamt 20 Fahrlehrern, die zum zwölften Mal die Veranstaltung auf dem Flughafen in Peenemünde betreuen.
100 Sehbehinderte aus ganz Deutschland sind der Einladung des Peenemünder Motorsport- und Verkehrsschulungsvereins gefolgt. Der sogenannte „Blindentag“, bei dem sie unter Aufsicht eines Fahrlehrers Auto fahren dürfen, ist einmalig in Mecklenburg- Vorpommern. Der älteste Besucher des Tages: Richard Wagner, er ist 91 Jahre alt und zum allerersten Mal in seinem Leben allein Auto gefahren. Natürlich in einem Fahrschulwagen, denn dieser ist auch von der Beifahrerseite aus kontrollierbar. „Herr Wagner hatte vor Rührung Tränen in den Augen“, sagt Sabine Quandt, Vorsitzende des Motorenvereins. „Blinde Menschen möchten den Fahrtwind und die Geschwindigkeit spüren“, sagt Ina Löschke. Sie ist schon drei Kilometer an diesem Tag gefahren und kann kaum genug von dem ungewohnten Gefühl bekommen.
Fahrlehrer Wolter aus Wolgast hat Erfahrung mit den Fahranfängern. „Während ich meine gesunden Schüler oft antreiben muss, sie sollen schneller fahren, muss ich die blinden eher bremsen.“ Wolter lacht amüsiert. „Sie kosten die Fahrten richtig aus.“ In einer langen Schlange stehen sie vor dem Parcours an. Etliche Helfer reichen ihre Hände beim Ein- und Aussteigen und kümmern sich um die Sicherheit.
Von Jahr zu Jahr melden sich mehr Teilnehmer an. Mehrere Autos fahren gleichzeitig auf der Strecke, während Mitglieder des Motorsportvereins mit ihren blinden Mitfahrern auf der Piste entlang brausen. In diesem Jahr kann auch wieder Lkw gefahren werden. „Ich saß so hoch. Es war ein super Gefühl. Da zehre ich ein ganzes Jahr von“, sagt Simone Kaminski (46) aus Rostock. Auch Sehenden wird in Peenemünde ein Gefühl der besonderen Art vermittelt. Mit einer Schlafbrille vor den Augen fährt Sebastian Soestmeyer (28) aus Münster los. Eigentlich kann er gut sehen und Auto fahren. Doch in der Finsternis lenkt er den Wagen unsicher und vorsichtig. „Oh ha“, sagt er und nimmt die Brille ab. „Das ist kein schönes Gefühl.“ Ina Löschke lebt mit diesem Gefühl. Trotzdem sagt sie: „Wir sind nicht behindert. Die Gesellschaft hat uns dazu gemacht.“ Der Alltag stellt sie oft vor Probleme. „Wenn Supermärkte ständig ihre Waren umräumen oder der Geldautomat ein neues Update bekommt. Manche Menschen fühlen sich schon vom akustischen Signal einer Ampel belästigt. Für uns ist das Geräusch lebenswichtig“, erklärt sie. Sie hofft, dass Sehbehinderte künftig mehr Akzeptanz in der Gesellschaft erfahren und sie einfach „normal“ behandelt werden. Auch ihr Sohn Johannes ist von der Augenkrankheit betroffen. Er findet den Weg durch den Alltag nur mithilfe eines Blindenstocks und leitet eine Praxis für Physiotherapie in Hamburg. Drei Dinge würde er in seinem Leben gern sehen: „Einen Sonnenuntergang, wie meine Kinder aufwachsen und ich möchte einmal ganz ungeniert einer attraktiven Frau hinterher schauen.“