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Usedom Kurier vom 29.06.2009
"Sehbehinderte steuern Pkw über die Piste"
In der „Taktilen Welt“ ist es stockfinster. So dunkel, dass die Augen als Sinnesorgan ausscheiden und Chancengleichheit für Sehende und Blinde herrscht. Jetzt ist der Tastsinn gefragt. Welche Gegenstände des täglichen Lebens – vom Teelicht über Werkzeuge und Lebensmittel bis zum Vibrator – sind in den mit Styroporkugeln gefüllten Kartons versteckt?
Ausgedacht haben sich die „Taktile Welt“ die beiden Wolgaster Ina und Dirk Löschke, die zusammen mit einigen Partnern und Sponsoren – der wichtigste ist zweifellos der Peenemünder Motorsport- und Verkehrsschulungsverein – seit nunmehr sieben Jahren zum Aktionstag „Mehr Akzeptanz gegenüber Sehbehinderten und Blinden im Straßenverkehr“ auf dem PMV-Gelände einladen.
Ausgangspunkt war damals der Traum einer ebenfalls stark sehbehinderten Freundin von Ina Löschke, einmal in ihrem Leben auf einem Motorrad mitzufahren. Dank der Unterstützung des PMV wurde dieser Traum damals in die Tat umgesetzt – und die Idee für den Aktionstag geboren, zu dem auch gehört, dass Blinde einen Pkw über den abgesperrten Parcours steuern können. Mittlerweile wurde daraus eine Veranstaltung, die weit über die Region hinaus bekannt wurde – auch, weil sie landesweit die einzige dieser Art ist.
Etwa 140 Sehbehinderte und Blinde – unter anderem aus Hamburg, Frankfurt a.M., Erfurt, Halle, Wittenberg und erstmals auch aus Polen – nutzten am Sonnabend die seltene Gelegenheit, sich einmal selbst ans Steuer eines Pkw zu setzen. Ein Reiseunternehmen hatte diesmal sogar einen Bus gesponsert, damit Teilnehmer aus Sachsen-Anhalt an einem Tag nach Peenemünde und wieder nach Hause kommen. Aber auch für viele Fahrschulen aus der Region ist es mittlerweile selbstverständlich, die Aktion zu unterstützen, indem sie kostenlos ihre Fahrzeuge nebst Fahrlehrer zur Verfügung stellen, 20 Fahrschulen machten diesmal mit.
Andreas Töpsch ist extra aus Berlin angereist, weil er schon so viel von der Peenemünder Veranstaltung gehört hat. Und nun steuert er, der nur noch 20 Prozent Sehkraft hat, geschickt einen BMW über die Piste. „Nur vor den Kurven hatte ich ein paar Schwierigkeiten, den Einlenkpunkt zu finden“, erzählt er anschließend stolz. Auch für die Usedomerin Karin Ehmke ist das selbstständige Autofahren eine ganz neue Erfahrung. Angst? „Nein, warum denn? Es hat Spaß gemacht“, schwärmt sie begeistert. Die Erfüllung ihres größten Wunsches, einmal ein Motorrad zu steuern, bleibt ihr allerdings versagt, denn „das geht ja leider nicht“. In der „Taktilen Welt“ kann unterdessen der Gützkower Reinhardt Duwe einen Erfolg verbuchen. Im Gegensatz zu seiner stark sehbehinderten Frau Sabine hat er die in einer Schale mit Bandnudeln versteckte Büroklammer ertastet – „obwohl sie Heimvorteil hatte “, wie er schmunzelnd anmerkt