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Peenemünde, Raketen und Meer
Peenemünde ist ein kleines Örtchen an der Nordwestspitze der Insel Usedom, das seit seiner ersten Erwähnung im Jahre 1250 strategisch für Handelsfahrten von Kaufleuten eine große Rolle gespielt hat.
Nicht nur die Landung des Schwedenkönigs im Jahre 1630 war für das kleine Örtchen sehr bedeutend, hier wurde auch der Grundstein für die Entwicklung der Raumfahrt gelegt. Am 3. Oktober 1942 hob die erste Rakete aus der dortigen Heeresversuchsanstalt ab. Wernher von Braun, der den Nationalsozialisten ursprünglich bei der Konstruktion einer Massenvernichtungswaffe geholfen hat, konstruierte später die Rakete für den ersten und einzigen bemannten Flug zum Mond. Heute kann man sich im Historisch-technischen Informationszentrum über die gesamte Geschichte der Heeresversuchsanstalt informieren und sogar das Modell einer Rakete mit den Händen betrachten.
Außer dem Historisch-Technischen Informationszentrum gibt es in dem kleinen Ort mit etwa 550 Einwohnern noch eine Menge mehr zu bestaunen und zu erleben: Aus der reichhaltigen Museenlandschaft sei nur kurz die „Phänomenta“ erwähnt, in dessen Räumlichkeiten man Physik auch anders als mit den Augen erleben kann. Neben optischen Täuschungen gibt es auch eine Menge zum Anfassen und Ausprobieren. Beispielsweise kann man das Hebelgesetz mit den eigenen Händen erfahren, indem man mittels der Hebelwirkung einen Trabant mit einem Arm hochhebt. Neben der Phänomenta möchte ich nur kurz anmerken, dass man im Maritimen Museum die Möglichkeit bekommt, ein russisches U-Boot von innen zu besichtigen, es gibt ein Spielzeugmuseum, ein Bettenmuseum und vieles mehr.
Genau in dieses geschichtsträchtige Örtchen verschlug es die Jugendgruppe des Thüringer Blinden- und Sehbehindertenverbandes. Auf dem Flughafengelände sollte am 26. Juli 2008 ein weiteres Großereignis stattfinden. Was für Sehende völlig selbstverständlich ist, sollte nun auch für uns Wirklichkeit werden.
Am 25. Juli 2008 brach eine kleine Gruppe von 5 Teilnehmern auf an die Ostsee, um endlich selbst einmal hinterm Steuer eines Autos zu sitzen. Zwei weitere unserer Mitglieder waren gewissermaßen als Vorhut voraus gefahren und sollten am folgenden Tag zu uns stoßen. Die Anreise verlief reibungslos und wir trafen gegen 18:00 Uhr abends in Trassenheide ein. Den Auftakt unseres abenteuerlichen Wochenendes bildete das nächtliche Feuerwerk zum dortigen Strandfest.
Nach einer morgendlichen Erfrischung in der Ostsee und einem reichhaltigen Frühstück machten wir uns auf den Weg. Die Veranstaltung wurde vom Motorsportverein Peenemünde in Zusammenarbeit mit 11 Fahrschulen organisiert und fand genau zum sechsten Mal statt. Wir hatten über einen Artikel von diesem Event erfahren und gleich die Gelegenheit ergriffen, unsere Jugendgruppe anzumelden. Die meisten anderen Teilnehmer (insgesamt etwa 70) stammten aus der näheren Umgebung.
Nachdem die Motorradfahrer einige Runden übers Parcours gejagt waren, ging es für uns auf die Piste. Alle Wagen stellten sich an den Ausgangspunkt der Strecke und jeder durfte sich ein freies Fahrzeug suchen, das er ausprobieren wollte. Als erstes „kaperte“ ich mir mit einem anderen Mitglied unserer Gruppe einen VW Golf 5. Zuerst stieg ich hinten ein. Christian schlug sich sehr tapfer. Das Fahrgefühl war eigentlich nicht viel anders, als wenn jemand am Steuer gesessen hätte, der einen Führerschein besitzt. Dann war ich an der Reihe. Zuerst wurden mir die Gangschaltung und die Pedale erklärt, dann drehte ich den Zündschlüssel und ließ den Wagen an. Handbremse lösen und los ging es! In diesem Moment ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass nur das Gaspedal und die Handbremse eine runde Form haben. Kupplung und Bremse sind an der Spitze eher dreieckig.
Zündschlüssel rum, etwas Gas, Kupplung durchtreten, erster Gang rein und ab geht die Post. Für uns wurde der Abschnitt einer Rennbahn präpariert, auf dem wir verschiedene Möglichkeiten des Autofahrens kennenlernen konnten. Dabei waren die Fahrlehrer unsere sehende Hilfe. Neben Richtungsangaben wurde die Höhe des Gases angegeben, ein wenig beim Lenken geholfen und beim Einlegen des Ganges assistiert. Der Streckenabschnitt war so ausgewählt, dass uns die Kurven vor einige Herausforderungen stellten. Mal musste man scharf nach rechts, mal etwas nach links lenken. Besonders aufpassen mussten wir beim Gasgeben. Traten wir richtig drauf, spürten wir sofort, wie der Wagen abzischte. Ich finde es ein unbeschreibliches Gefühl, so einen Wagen in der eigenen „Gewalt“ zu haben.
Der erste Fahrlehrer erteilte so routiniert seine Anweisungen, als wenn er einen Fahrschüler mit Augenlicht hinterm Steuer sitzen hätte. Als ich ihn fragte, wie oft er schon dabei gewesen ist, meinte er, dass er sich zum ersten Mal für dieses Ereignis angemeldet habe. „Es ist schon etwas ungewohnt, jemanden hinterm Steuer sitzen zu haben, der nicht konzentriert auf die Straße schaut“. Auch für ihn war diese Erfahrung sehr interessant, aber nicht beängstigend.
Als zweites bestieg ich einen Opel Astra. Hierbei ist mir aufgefallen, dass es zwischen den anwesenden Fahrlehrern Unterschiede in der Zusammenarbeit mit uns gegeben hat. Nach meinem Eindruck hat der zweite Fahrer am Meisten eingegriffen.
Zum Dritten durfte ich einen Toyota Corolla ausprobieren. Hier gab es noch eine kleine Besonderheit: Der Toyota-Fahrer hat mich auf dem geraden Stück mal richtig „drauftreten“ lassen. Ich kam auf eine Geschwindigkeit von 110 km/H im dritten Gang. Hierzu möchte ich noch erwähnen, dass wir im ersten Gang langsam angefahren sind, ein Stück im zweiten die Kurven meisterten und dann in den dritten umschalteten.
Neben dem Steuern verschiedenster Fahrzeuge gab es natürlich noch andere große Attraktionen: Beispielsweise durften wir (als Mitfahrer) eine Luxuslimousine besteigen oder das Fahrfeeling auf einem Motorrad genießen. Dazu muss ich allerdings sagen, dass wir hier aus Sicherheitsgründen nicht selbst fahren durften. Aber allein schon das Mitfahren auf einem Motorrad ist für jemanden, der das nicht täglich erlebt, ein spannendes Ereignis. Ich entschied mich für eine Maschine von BMW. Sitzt man auf einem Motorrad, pfeift einem der Fahrtwind direkt um die Ohren. Denkt man in diesem Moment darüber nach, bei hoher Geschwindigkeit mit so einer Maschine, die mindestens 200 km/h drauf hat, einen Unfall zu bauen, wird einem ziemlich mulmig zumute. Uns passierte natürlich nichts, da wir erstens mit Schutzhelm und Lederkombi ausgestattet wurden und zweitens von erfahrenen Rennfahrern gelenkt worden sind.
Diese spannende Erfahrung hat uns alle so gefesselt, dass wir am Liebsten noch ein Stückchen länger über die Bahn geheizt wären. Ursprünglich hatten wir geplant, noch einen kleinen Ausflug in die Museenwelt des Örtchens zu unternehmen. Da das Wetter aber wunderschön war, entschlossen wir uns, dass wir uns nicht in einem Museum verkriechen sondern in freier Natur bleiben wollten. So pilgerten wir am Historisch-Technischen Informationszentrum vorbei langsam zurück zum Bahnhof. Von dort aus fuhren wir mit der Usedomer Bäderbahn nach Ückeritz, wo wir einige Zeit später gute norddeutsche Hausmannskost genossen.
Da die meisten von uns berufstätig sind, mussten wir am Sonntag leider schon wieder die Rückreise antreten. Selbstverständlich ließen wir es uns nicht nehmen, die Ostsee noch einmal zu beehren. Für alle Teilnehmer, die mit von der Partie waren, hat sich an diesem Wochenende ein großer Traum verwirklicht. Ein Mitglied unserer Gruppe hatte auf Grund seines früheren Sehvermögens sogar schon einmal einen Führerschein. Er sagt, er vermisse das Autofahren sehr. Sollte sich im nächsten Jahr eine ähnliche Gelegenheit bieten, werden wir diese selbstverständlich nicht versäumen.