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Ostsee Zeitung vom 23.07.2007
Blinde durften selbst ans Steuer
Sind Sie schon mal Auto gefahren“, fragt Fahrlehrer Maik Mahnke von der Zinnowitzer Fahrschule Müller seinen Fahrschüler Michael Benkewitz (38) aus Koserow. Der seit 1999 zu 100 Prozent sehbehinderte Insulaner hat bereits viermal beim Aktionstag „Motorsportler für mehr Akzeptanz gegenüber Sehbehinderten und Blinden“ des Peenemünder Motorsport- und Verkehrsschulungsvereines mitgemacht. Deshalb kann Benkewitz die Frage mit „Ja“ beantworten. Beim diesjährigen Aktionstag am vergangenen Samstag darf er in Peenemünde wieder einmal selbst ans Steuer. Diese Gelegenheit nutzt er so richtig aus. Auf der langen Geraden drückt Benkewitz kräftig aufs Gaspedal. Der Tacho zeigt 80 km/h. Auf den Rücksitzen krallen sich Freundin Annett Hardt (36) und Tochter Manja Hardt (11) an den Griffen fest. Immerhin ist ihnen völlig bewusst, dass der Fahrer nichts sieht. Doch Maik Mahnke leiht Michael Benkewitz gekonnt seine Augen: „Jetzt kommt gleich eine leichte Linkskurve. Achtung, runter vom Gas, und jetzt leicht einlenken, einen Moment noch so halten, und jetzt wieder auflenken.“ Benkewitz lässt das Lenkrad los, und der Wagen zieht von alleine wieder gerade. Nicht schlecht. Die Damen auf der Rückbank können aufatmen. „Jetzt kommt eine Rechts-links-Kombinaton“, kündigt der Fahrlehrer an. Benkewitz lenkt ein, doch nicht weit genug. Er weiß ja nicht, wie eng die Kurve ist. „Ein bisschen weiter“, sagt Mahnke schnell, doch zu spät: Der Wagen fährt schon auf dem Grünen. Mahnke reift ins Lenkrad und holt den Wagen zurück auf den Asphalt. „Das Schwierigste ist, in Worte zu fassen, wie weit das Lenkrad eingeschlagen werden muss“, meint der Fahrlehrer. Neben den zweiundachtzig Blinden und Sehbehinderten konnten am Samstag aber auch Sehende in eine Welt ohne Augenlicht eintauchen. Michael Benkewitz und seine Freundin Annett Hardt tauschen nun die Plätze im Fahrschulwagen, und ganz mutig zieht sich Hardt eine Augenbinde über und lässt vorsichtig die Kupplung kommen. „Das ist ein total komisches Gefühl“, meint die routinierte Autofahrerin. Was sich für die 36-Jährige etwa als geradeaus anfühlt, ist in Wirklichkeit ein kleiner Linksdrall. So wird es dann auch in den Kurven recht turbulent. „Zu mir lenken“, sagt Mahnke. „Weiter, noch mehr rum.“ Auf dem Rücksitz ertönt ein ängstliches Quieken, und der Wagen holpert über eine Fahrbahnbegrenzung. Hardt reißt erschrocken das Lenkrad rum, und es beginnt eine fröhliche Zickzack-Fahrt. Den Angstschweiß auf der Stirn kann die Fahrerin nun nicht mehr verbergen: „Ich reiß mir gleich die Augenbinde runter.“ Doch Hardt weiß, dass der Fahrlehrer auch die Pedale vor sich hat und im Notfall eingreifen kann. Also bringt sie die Runde mutig zu ende. „Gut gemacht“, lobt ihr Freund Michael Benkewitz stolz. „Jetzt kann ich mich noch besser in Micha hineinversetzen und hab vielleicht noch mehr Verständnis“, resümiert die Koserowerin. Neben den fünfzehn Fahrschulen aus ganz Ostvorpommern waren auch einige Motorradfahrer am Aktionstag beteiligt. Auch Andrea Fesser aus Berlin traute sich aufs Motorrad: „In mir Kribbelt es richtig vor Spannung, aber auch vor Freude“, meint die zu 100 Prozent Sehbehinderte. Selbst Motorrad fahren war für Blinde allerdings nicht möglich: „Das ist eine Frage des Gleichgewichtes. Das lässt sich nicht so einfach halten“, erklärte Jürgen Quandt(†), erster Vorsitzende des Peenemünder Motorsport- und Verkehrsschulungsvereins. Der Wolgaster zog am Samstag eine positive Bilanz: „Es ist schön, den Sehbehinderten eine Freude machen zu können. Und viele Sehende ändern durch diesen Aktionstag ihre Einstellung gegenüber den Blinden und nehmen sie nun für voll.“ Für sein Engagement erhielt Quandt(†) einen Pokal für „Fünf Jahre Motorrad- und Autofahren für Blinde und Sehbehinderte“ überreicht. Michael Benkewitz wird sich den Termin in Peenemünde auch im nächsten Jahr wieder frei halten. Das weiß er schon jetzt.