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Ostsee Zeitung vom 02.07.2018

Ohne Sicht über die Landebahn


Für 100 Sehbehinderte bietet die Verkehrswacht Außergewöhnliches an

 

Geschulte Fahrlehrer vermitteln den sehbehinderten Menschen am Steuer ein Gefühl der Sicherheit. Quelle: Foto: Carolin Riemer

Den Einweiser in seiner knallgelben Warnweste nur knapp neben dem Pkw kann Ute Renzikowski zuerst gar nicht sehen und dann auch nur schemenhaft erkennen. Die niedrigen Begrenzungen der Piste nimmt sie so gut wie nicht wahr, auch das vorausfahrende Auto macht die Frau am Lenkrad erst sehr spät aus. Dennoch lässt die Pasewalkerin den Wagen seine Bahn ziehen, durchfährt souverän diverse Kurven, absolviert auch einen Slalomparcours ohne größere Probleme. Grund zur Beunruhigung haben weder sie noch die anderen Insassen, denn die Zwei-Runden-Fahrt findet auf der Piste des Peenemünder Flugplatzes statt, wo am Sonnabend der Peenemünder Motorsportverein, die Verkehrswacht Usedom-Peene, die Polizeiinspektion Anklam und weitere Partner den diesjährigen Pkw- und Motorradfahrtag für Blinde und Sehbehinderte veranstalteten. Ute Renzikowski ist beim Fahren nicht alleine. Der Wolgaster Fahrlehrer René Cornelius vermittelt ihr mit seinem Einfühlungsvermögen und seiner Ruhe das Gefühl von Sicherheit, das für ein solches Unternehmen unverzichtbar ist.

2003 wollte die Wolgasterin Ina Löschke einer blinden Freundin einen langgehegten Wunsch erfüllen: einmal als „Sozia“ auf einem Motorrad sitzen und einige Runden drehen. Mit Hilfe des damaligen Vorsitzenden des Peenemünder Vereins und Polizisten Jürgen Quandt konnte der Freundin dieser Wunsch erfüllt werden. Für Ina Löschke, selbst in hohem Maße sehbehindert, stand in diesem Augenblick fest: Daraus kann und muss mehr werden. Sie wandte sich an Jürgen Quandt und seine ebenfalls im Verein aktive Frau Sabine mit dem Vorschlag, einen Fahrtag für Blinde und Sehbehinderte in Peenemünde ins Leben zu rufen. Wer Ina Löschke kennt, wundert sich nicht, dass die anfängliche Skepsis ihrer Partner schnell in Zustimmung, sogar in Begeisterung, umschlug. Aus der Idee wurde Realität;

Inzwischen ist diese Veranstaltung längst eine feste Größe für Betroffene aus der ganzen Republik. Schon seit Jahren übernimmt Landrätin Dr. Barbara Syrbe die Schirmherrschaft, auch Landes-Verkehrsminister Christian Pegel hat in diesem Jahr persönlich seine hohe Wertschätzung überbracht.

Ina Löschke weiß, dass weit mehr als die rund 100 Blinden und Sehbehinderten, die jährlich nach Peenemünde kommen, theoretisch als Teilnehmer in Frage kämen, so groß ist nach wie vor die Nachfrage.

„Aber wir können und wollen diese Grenze nicht überschreiten; zum einen aus Sicherheitsgründen, andererseits aber auch, um die familiäre Atmosphäre nicht zu stören.“ Der Beobachter erkennt bald, dass gerade der erste Grund nicht zu unterschätzen ist: Die 16 Fahrlehrer, die an diesem Tag sich und ihre Pkw in den Dienst dieser guten Sache gestellt haben, gehen ebenso an ihre Grenzen wie die Biker, die ebenfalls mit Betroffenen ihre Runden drehen. Für den Altentreptower Polizisten und Mitglied des weltweit agierenden Motorrad-Clubs „Blue Knights“ ist dennoch die ganze Veranstaltung einfach „saugut“. Schon seit vielen Jahren sind er und seine Kollegen in Peenemünde mit von der Partie. Und für den Pasewalker Ralf Limp war es „ein unbeschreibliches und unvergessliches Gefühl“, als er vor vier Jahren auf der Peenemünder Betonpiste am Lenkrad eines Autos saß und nach langer Zeit wieder - vor seiner Erblindung war Limp ein begeisterter Fahrer - spürte, wie sich der Wagen unter ihm in Bewegung setzte.

 

Dietrich Butenschön



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